Gedenken an die ermordeten WiderstandskämpferInnen

17. Juli 2014

Seit vielen Jahren veranstaltet der Heidelberger Kreisverband der VVN/BdA am 1. November eine Gedenkveranstaltung auf dem Bergfriedhof. Am Mahnmal versammeln sich jedes Mal zahlreiche AntifaschistInnen, um der von den Nazis ermordeten WiderstandskämpferInnen zu gedenken. Die Redebeiträge von VertreterInnen der VVN/BdA, der Gewerkschaften und anderer Organisationen sowie antifaschistischer Gruppen werden umrahmt von musikalischen Beiträgen.
Die Rede der Heidelberger VVN/BdA vom 1. November 2013 widmete sich unter anderem den Umtrieben des NSU und dem erstarkenden Antiziganismus.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

liebe Freundinnen und Freunde,

wir sind heute hier zusammengekommen, um der Antifaschistinnen und Antifaschisten zu gedenken, die für ihre Widerstandsarbeit gegen das mörderische NS-Regime von den Nazis ermordet wurden.

Ihr Mut, ihre Überzeugung, auch angesichts einer Übermacht einen scheinbar aussichtslosen Kampf aufzunehmen und fortzuführen – auch unter Lebensgefahr -, muss uns Verpflichtung sein, diesen Kampf fortzuführen.

Als sich die Häftlinge des KZ Buchenwald im April 1945 selbst befreiten, formulierten sie diese Verpflichtung gegenüber den Leiden und dem Opfer ihrer von den Nazis ermordeten Mitstreiterinnen und Mitstreitern:

„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig.“

Doch die Vernichtung des Nazismus erwies sich als schwieriger als erhofft, zumindest in der BRD. Schnell wurde ein Großteil der wichtigsten Behördenstellen mit hochrangigen NSDAP-Funktionären oder überzeugten Mitläufern besetzt, die sich in der Zwischenzeit einen neuen Parteiausweis zugelegt hatten. Widerstandskämpferinnen und -kämpfer wurden aus dem öffentlichen Leben verdrängt.

Manche Behörden bestanden fast ausschließlich aus ehemaligen Nazi-Größen, die mit dem beginnenden Kalten Krieg die Jagd auf Kommunistinnen und Kommunisten wieder aufnahmen. Das KPD-Verbot 1956 und die erneute Repression gegen die Parteimitglieder und andere Linke bedeutete für viele ehemalige KZ-Häftlinge und ihre Familien eine zweite Verfolgungsgeschichte.

Diejenigen Menschen, die sich dem Schwur von Buchenwald und der Forführung dieses Kampfes verpflichtet fühlten, standen erneut im Visier von Polizei und Staatsanwaltschaften, wobei den BRD-Behörden die Verfolgungsakten und das Wissen der alten NS-Mörder in den eigenen Ämtern zugutekam.

Auf diese Art wurde eine Entnazifizierung verhindert und die Schaffung eines antifaschistischen, antirassistischen und demokratischen Klimas in der Gesellschaft blockiert.

Ein Paradebeispiel für die Durchdringung eines gesamten Behördenapparats mit ehemaligen Nazis sind die Geheimdienste, deren Führungsebene in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Gründung fast ausschließlich aus erprobten NSDAP-Größen bestand.

Entsprechend war auch die Arbeit des Verfassungsschutzes von Anfang an auf die Verfolgung von linken und fortschrittlichen Bewegungen fixiert. Durch Berufsvebote sorgte der VS in Zusammenarbeit mit anderen braun durchsetzten Behörden über Jahrzehnte hinweg dafür, dass Menschen, die sich demokratischem und linkem Gedankengut verpflichtet fühlten, keine gesellschaftlich relevanten Posten bekamen und dass andere Linke eingeschüchtert wurden.

Bis heute werden antifaschistische Strukturen weiterhin als Hauptfeind betrachtet und sind Bespitzelungen und anderen Repressalien ausgesetzt.

Die Umtriebe „alter Kameraden“ und auch das Entstehen neuer faschistischer Zusammenhänge wurden vom Inlandsgeheimdienst hingegen gerne ignoriert beziehungsweise gefördert, eine Tradition, mit der der Verfassungsschutz bis heute nicht gebrochen hat.

Besonders augenfällig wird dies am Beispiel des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, dessen detailliert geplante Mordserie die extremste Form faschistischen Terrors darstellt. Dass diese Nazi-Mörderbande ungehindert und unentdeckt über so viele Jahre hinweg Menschen wegen ihres Migrationshintergrunds ermorden konnte, wurde zu weiten Teilen dadurch ermöglicht, dass die Verfolgungsbehörden, insbesondere der Verfassungsschutz, die Spuren massiv vertuschten und den Verdacht in falsche Richtungen lenkten.

Bis heute wird das wahre Ausmaß der rechtsterroristischen Umtriebe vertuscht, indem Akten geschreddert und Beweise vernichtet werden. Auf diese Weise soll der NSU als isoliertes Grüppchen dargestellt werden, obwohl die Verbindungen zu anderen Nazigruppen sowie zu staatlichen Stellen – insbesondere zum Verfassungsschutz – unübersehbar sind.

Die Ermittlungen zeigen dabei einmal mehr, dass auch Rassismus in den Behörden bis heute allgegenwärtig ist und die Blindheit auf dem rechten Auge hervorragend ergänzt: nach den Morden an neun migrantischen Menschen schloss die Polizei sofort einen rechten Tathintergrund aus.

Stattdessen wurde den Ermordeten die Verwicklung in kriminelle Geschäfte unterstellt und das berüchtigte Konstrukt der „Ausländerkriminalität“ bemüht. Die Angehörigen wurden durch ständige Verhöre schikaniert, um die rassistische Annahme der Behörden, es handle sich um eine „Mafia“, zu unterstützen.

Indem sich die Sonderkommission den Namen „Bosporus“ gab, signalisierte sie schon deutlich, dass die Tatverdächtigen in so genannten kriminellen Ausländerbanden zu suchen seien und andere Ermittlungen gar nicht erst angestellt würden.

Der offene Rassismus in den Behörden erlebte eine weitere Blüte, als nach dem NSU-Mord an einer Polizistin in Heilbronn wahllos Sinti und Roma der Tat beschuldigt wurden, ohne dass es dafür irgendeinen Anhaltspunkt gegeben hätte. In den folgenden Monaten wurden überregional Angehörige der Minderheiten durch Ermittlungen und Kontrollen schikaniert, und die antiziganistischen Randnotizen in den Polizeiakten sprechen Bände über das rechte Weltbild der Ermittlungsbehörden.

Auch damit setzt sich eine erschreckende Tradition fort, die seit der Nazizeit andauert: die von den NS-Stellen angelegten Verfolgungsakten, die zur Vernichtung der Sinti und Roma dienten, wurden von den bundesdeutschen Polizeien übernommen. Die Überlebenden waren auf dieser Grundlage weiteren Repressalien ausgesetzt.

Erst 1970 wurde die letzte offizielle so genannte Landfahrerstelle in Bayern als grundgesetzwidrig abgeschafft. Es sollte aber noch bis 2001 dauern, bis auf eine Klage des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma hin die Polizeien gezwungen wurden, einen entsprechenden Vermerk in den Akten zu unterlassen.

Doch die Behörden sind in ihrem Rassismus keineswegs isoliert: Ohne mit der Wimper zu zucken, griff die Presse die staatliche Version der Ermittlungen nach den NSU-Morden auf und berichtete unter dem Titel „Döner-Morde“ über die tödlichen Nazi-Umtriebe. Selbst kritische Medien zweifelten die krude These der „Mafiabande“ nicht an. Auch die antiziganistischen Verdächtigungen nach dem Mord in Heilbronn wurden unhinterfragt übernommen und durch die Reproduktion rassistischer Klischees in der Berichterstattung unterfüttert.

Nach dem Auffliegen des NSU-Trios ist die allgemeine Bestürzung immer noch spürbar, und breiten Teilen der Bevölkerung – auch vielen Medien und Parteien – ist es ein ehrliches Anliegen, die systematischen Ermittlungsfehler und besonders die Vertuschungsaktivitäten des Verfassungsschutzes aufzudecken. Es geht auch darum, zu zeigen, dass die drei Neonazis nicht im luftleeren Raum agierten, sondern auf ein großes Umfeld angewiesen waren. Diese Arbeit ist gut, und sie ist richtig.

Gleichzeitig darf aber nicht übersehen werden, dass dieser Fall nicht möglich gewesen wäre ohne rechte Traditionen, die nach 1945 nicht aus der Welt geschafft wurden: Neben der Verharmlosung rechter Aktivitäten war es in erster Linie der gesamtgesellschaftliche Rassismus, der die lange Serie der Nazi-Morde ermöglicht hat.

Dieser Rassismus, der ohnehin in vielen kleinen Situationen zum Alltag migrantischer Mitmenschen gehört, tritt momentan wieder in besonders hetzerischer und gewalttätiger Form zutage. Dabei ist er keineswegs auf eine kleine Gruppe von Nazis beschränkt.

In vielen Städten der BRD – beispielsweise in Duisburg und Berlin-Hellersdorf – werden Flüchtlinge Ziel von rechten Angriffen. Als „besorgte AnwohnerInnen“ getarnt versammeln sich Bürgerwehren und rechte Milizen vor den Unterkünften und schüchtern die dort lebenden AsylbewerberInnen durch rassistische Parolen und Drohungen ein.

Während die Betroffenen kaum noch wagen, das Haus zu verlassen, weigert sich die Polizei, die Gebäude zu schützen. Die Bevölkerung beobachtet das Treiben in weiten Teilen wohlwollend bis desinteressiert, und die Stadtverwaltungen heizen die rassistische Pogromstimmung durch populistische Reden weiter an.

Insbesondere Roma sind derzeit vermehrten Angriffen ausgesetzt. In vielen osteuropäischen Ländern haben sich mörderische Pogrome gegen Roma-Siedlungen gehäuft, und die alltägliche Ausgrenzung aus der Gesamtgesellschaft ermöglicht den meisten Roma nur ein elendes Leben in Slums, das von ständigen Repressalien durch staatliche Stellen geprägt ist.

Um dieser Verfolgung zu entkommen, fliehen viele Betroffene in die BRD. Doch der Antiziganismus ist auch hier weiter präsent: ein augenfälliges Beispiel bietet die Hetze gegen Roma in der Mannheimer Neckarstadt, die Anfang dieses Jahres über mehrere Monate die lokalen Medien und die Kommunalpolitik beherrschte.

Die rassistischen Klischees, die dabei wiederbelebt wurden, lassen furchtbare Erinnerungen an längst vergangengehoffte Zeiten wiedererstehen.

Wenn wir hier heute der antifaschistischen Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gedenken, dann müssen wir auch ihren Kampf fortsetzen.

Wir müssen den Kampf aufnehmen gegen alte und neue Nazis, gegen die Verfolgung von Linken und die rechten Verstrickungen der staatlichen Stellen.

Wir müssen den Kampf aufnehmen gegen den weiter andauernden Rassismus, gegen Antisemitismus und Antiziganismus.

Wir müssen den Kampf aufnehmen gegen kapitalistische Ausbeutung und Krieg.

Wir sind verpflichtet, den Schwur von Buchenwald umzusetzen, den Nazismus mit seinen Wurzeln zu vernichten und eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen. Das ist unser aller Aufgabe.