Die Lehre aus Afghanistan: Schluss mit Kriegen und Interventionen!

4. September 2021

Zum Antikriegstag am 1. September, an dem rund 150 Menschen mit einer Kundgebung mit kultureller Umrahmung auf der Neckarwiese ein starkes Zeichen setzten, veröffentlichten wir als VVN-BdA Heidelberg zusammen mit dem Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg das folgende Flugblatt.

Die Lehre aus Afghanistan: Schluss mit Kriegen und Interventionen!

Die aktuellen Ereignisse rücken Afghanistan auch ins Zentrum der Kundgebung zum diesjährigen Antikriegstag. Wir protestieren zum einen gegen den kriminell unverantwortlichen Umgang mit den afghanischen Zivilangestellten der Bundeswehr und deutscher Organisationen und fordern, dass die Bundesregierung alles unternimmt, allen die es wollen, die Ausreise nach Deutschland zu ermöglichen, einschließlich ihrer Familien ‒ nicht mit dem Militär, sondern völkerrechtskonform über die UNO und den Roten Halbmond.;

Vor allem aber wollen wir betonen, dass die Lehre des verheerenden, 20 Jahre währenden Afghanistankrieges nur ein klares Nein zur Fortführung der aktuellen und dem Anzetteln neuer westlicher Kriege, militärischer Interventionen und Regime Changes sein kann.

 
Verloren hatte die NATO den Krieg in Afghanistan schon längst. Wenn sich Berlin nun völlig überrascht vom raschen Sieg der Taliban zeigt, ist dies wenig glaubhaft. Warnungen gab es genug. Durch das lange Zögern, die gefährdeten „Ortskräfte“ zügig und unbürokratisch nach Deutschland zu holen, wollten sich die Verantwortlichen offensichtlich der unerwünschten moralischen Verpflichtung gegenüber dem Großteil ihrer „Ortskräfte“ entledigen, die nach der Machtübernahme der Taliban kaum noch Chancen zu einer geregelten Ausreise haben.

Kein Krieg für Menschenrecht

Wenn nun die Gründe des Scheiterns erörtert werden, wird meist unterstellt, dass die „Afghanistan-Mission“ ein an sich gutes Vorhaben mit vernünftigen Zielen gewesen sei. Tatsächlich war der Krieg von vorneherein eine völkerrechtswidrige Aggression gegen einen Staat, der keinen anderen angegriffen hat. Und es war von Anfang an absehbar, dass er das ohnehin geschundene Land weiter ins Elend stürzen und unzählige Opfer fordern wird.

Entgegen der offiziellen Darstellung standen Demokratie und Menschenrechte nie im Vordergrund. Tatsächlich ging es wie immer um Machtpolitik und Einflusssphären. Die Bilanz der fatalen westlichen „Afghanistan-Mission“ zeigt ein weiteres Mal, wohin imperiale Machtpolitik unter dem Deckmantel von Menschenrechten führt. Wenn nun überall laut der Schrecken einer erneuten Gewaltherrschaft beklagt wird, so darf der Schrecken der letzten 20 Jahren Gewaltherrschaft und Krieg nicht ignoriert werden.

Aus Washington und Berlin ist nun zu hören, immerhin sei das „Hauptziel des Krieges“, die von Afghanistan ausgehende Gefahr islamistischen Terrors zu eliminieren, erreicht worden. Tatsächlich hat sich jedoch infolge der Ausbreitung des „Krieges gegen den Terror“ von hier bis Afrika, die Zahl militanter, al Qaida-naher, dschihadistischer Organisationen und Kämpfer vervielfacht. Auch in afghanischen Gebieten operiert mittlerweile der „Islamische Staat“.

Ignorierte Opfer
Dem „Costs of War Project“ an der Boston University zufolge starben in Afghanistan mindestens 165.000 Menschen direkt durch Kriegshandlungen, über 47.000 davon Zivilisten. Die Autorinnen gehen aber von einem Vielfachen an indirekten Opfern aus. Die Ärzteorganisation IPPNW schätzt auf Basis von Mortalitätsstudien in anderen Ländern, die Gesamtzahl der in Folge des Krieges gestorbenen Afghaninnen und Afghanen auf über 800.000, 40.000 pro Jahr. Hinzu kommt eine noch weit höhere Zahl von Verwundeten und Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen.

Trotz der hehren humanitären Zielen, mit denen die ständige Fortsetzung des Krieges gerechtfertigt wurde, haben sich die Lebensverhältnisse der Bevölkerung unter der Besatzung sogar verschlechtert. Die Armut ist mittlerweile wieder größer als zuvor. Hilfsorganisationen zufolge sind 13 Millionen Afghanen und Afghaninnen akut von Hunger bedroht.

Deutscher „Erfolg“: Krieg wieder Normalität

Selbstverständlich gibt es auch viele Profiteure dieses Krieges, der Hunderte Milliarden US-Dollar verschlang. Zu den Gewinnern zählen auch die herrschenden Kreise in Deutschland, die eine starke militärische Großmachtrolle Deutschlands anstreben: deutsche Militäreinsätze im Ausland wurden wieder zur politischen Normalität und mehr als 150.000 deutsche Soldaten konnten in Afghanistan nach jahrzehntelanger Zurückhaltung wieder praktische Erfahrung sammeln, also, so die FAZ, „lernen, was Krieg wirklich ist“.

Verantwortung aus der deutschen Geschichte:
Engagement für den Frieden statt militärische Großmacht

Wenn sich   der Beginn des deutschen Angriffs auf Polen am 1. September 1939 wieder jährt, ist das für uns nicht Anlass, eine bessere oder verantwortungsvollere Interventionspolitik zu fordern, sondern unmissverständlich klarzustellen, dass Krieg niemals und unter keinem Vorwand als Mittel der Politik legitimiert werden kann.
Dass Befürworter und Befürworterinnen deutscher Auslandseinsätze sich nicht schämen, von der „Verantwortung“ Deutschlands in der Welt zu sprechen, ist zynisch. „Verantwortung“ würde Deutschland ansatzweise übernehmen, wenn es zumindest die Kriegsflüchtlinge aufnehmen würde, die von der globalen Interessenpolitik, die auch Deutschland betreibt, produziert werden. Stattdessen nimmt Deutschland weiter das massenhafte Sterben an seinen Außengrenzen. Deutschland und die übrigen NATO-Staaten stehen in der Verantwortung, ausreichende finanzielle und materielle Mittel für einen Wiederaufbau Afghanistans zur Verfügung zu stellen ‒ aber ohne erneute Bevormundung. Sie sind zudem auch verpflichtet endlich angemessene Entschädigungen für angerichtete Schäden an die Opfer und ihre Angehörigen zu zahlen. Der Westen muss aufhören, anderen Ländern seine Ordnung überstülpen zu wollen. Gesellschaftlicher Fortschritt kann nur von innen kommen.

Wir fordern:

  • Schluss mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr
  • Umfassende Hilfen und Entschädigungen für die afghanische Bevölkerung
  • Asyl und Hilfe für Schutzsuchende ‒ Humanität und Menschenwürde statt Abschottung