Dreifaches Feindbild der Nazis: 90 Jahre Vertreibung Emil Julius Gumbels aus Heidelberg
14. August 2022
Im August 1932 hatte die jahrelange Hetzkampagne Erfolg, die von völkischen und NS-faschistischen Studierenden und Organisationen betrieben worden war: Dem Heidelberger Mathematikprofessor Emil Julius Gumbel (1891–1966) wurde die Lehrberechtigung entzogen. Als Jude, Sozialist und entschiedener Kriegsgegner hatte er schon früh den geballten Hass nationalistischer und antisemitischer Kreise auf sich gezogen.
Seine Fronterlebnisse im Ersten Weltkrieg hatten den Statistiker zum engagierten Pazifisten gemacht, und er engagierte sich in der sozialistischen Bewegung. 1922 analysierte er in seinem viel beachteten Werk „Vier Jahre politischer Mord“ die Fememorde der Freikorps und die Tatsache, dass die Justiz auf dem rechten Auge blind war. Die Veröffentlichung machte ihn zum Ziel von verbalen, körperlichen und juristischen Angriffen von völkisch-nationalistischen Gruppierungen.
In Heidelberg, wo er ab 1923 dozierte, löste Gumbel einen Skandal aus, als er bei einer Antikriegsveranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft am 24. Juli 1924 in der Stadthalle sagte:
„Ich bitte die Anwesenden, zwei Minuten im Schweigen der Toten des Weltkrieges zu gedenken, die – ich will nicht sagen – auf dem Felde der Unehre gefallen sind, aber doch auf gräßliche Weise ums Leben kamen.“
Die rechten Studentenverbindungen und NS-Organisationen tobten, die Universität beantragte seine Suspendierung, was jedoch vom badischen Kultusministerium abgelehnt wurde. Die Hetzkampagne und inneruniversitäre Intrigen sollten jedoch noch lange Zeit andauern, und von seinen KollegInnen wurde er weitgehend gemieden. Immer wieder stand Gumbel von nun an im Schussfeld der schnell wachsenden NS-Bewegung Heidelbergs: In der konservativen Universitätsstadt war die ArbeiterInnenbewegung schwach, und völkische Studierende, rechte Professoren und die kleinbürgerlich geprägte Bevölkerung verhalfen den Nazis zu einem frühen und raschen Aufstieg.
Als Emil Julius Gumbel im Sommer 1930 zum außerordentlichen Professor ernannt wurde, eskalierte die Situation erneut: Mit antisozialistischen, offen antisemitischen und antipazifistischen Petitionen, Großkundgebungen und Flugblättern initiierten Nazis und Korporationen eine neue Hetzkampagne gegen den Mathematiker. Die Forderung nach seiner Suspendierung stand auch im Zentrum des Kommunalwahlkampfs der NSDAP, die sich im November 1930 auf 36 % der Stimmen steigern konnte und nun im Gemeinderat die mit Abstand stärkste Fraktion stellte. Am 21. Januar 1931 fanden die faschistischen Umtriebe des NS-dominierten AStA und der Studentenverbindungen ihren Höhepunkt in den „Gumbelkrawallen“, als die rechten Studierenden die Alte Universität besetzten und sich bis in die Nacht Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten.
Auch wenn der Sozialist und Antimilitarist sich kaum noch ohne Geleitschutz bewegen konnte und bei jedem öffentlichen Auftritt von NS-Studierenden überwacht wurde, bezog er weiter mutig Stellung. In einer Sitzung der Sozialistischen Studentenschaft im Haus Cajeth sagte er am 27. Mai 1932 in Anspielung auf den Hunger des „Steckrübenwinters“ während des Ersten Weltkriegs:
„Für mich ist das Denkmal des Kriegs nicht eine leichtbekleidete Jungfrau mit einer Siegespalme in der Hand, sondern die Schrecken und Leiden des Krieges werden viel besser durch eine Kohlrübe verkörpert.“
Die folgende vor allem von Studierenden organisierte antisemitische Kampagne gegen den „Schänder der deutschen Ehre“ nahm bereits den Wortlaut der kommenden NS-Zeit vorweg. Inzwischen hatte sich auch in der badischen Landesregierung der Wind gedreht, und als die Universität erneut Gumbels Rauswurf beantragte, entzog ihm das Kultusministerium die Lehrberechtigung.
Gumbel blieb nur das Exil: Nach einer kurzen Reise durch die USA lehrte er ab dem Wintersemester 1932/33 in Frankreich. Nach der Machtübertragung plünderten die Nazis seine Heidelberger Wohnung, erließen Haftbefehl gegen ihn, vernichteten seine Schriften bei den Bücherverbrennungen im Mai 1933 und bürgerten ihn im August 1933 aus. Als die Wehrmacht 1940 Frankreich überfiel, konnte Gumbel in letzter Minute in die USA fliehen, wo er weiter als Mathematiker tätig war und die US-StaatsbürgerInnenschaft erwarb. 1953-59 kehrte er nach Deutschland zurück, als er als Gastprofessor an der FU Berlin lehrte. Es war aber nur ein Besuch, und Gumbel kehrte 1959 in die USA zurück, wo er 1966 starb.
Bis heute ist Emil Julius Gumbel im kollektiven Gedächtnis der BRD kaum präsent. In Heidelberg erinnerten politische Aktivist*innen wieder an ihn, als sie in den 1990er-Jahren im Eine-Welt-Zentrum im Karlstorbahnhof der Veranstaltungssaal nach ihm benannten. Erst vor wenigen Jahren wurde auf dem Konversionsgelände in Rohrbach eine unscheinbare Nebenstraße nach Gumbel benannt, die kaum bekannt ist. Immerhin organisierte die Universität 2019 eine Tagung und Ausstellung unter dem Titel „Emil Julius Gumbel. Mathematiker – Publizist – Pazifist“, und der Lernort Kislau erstellte den Videoclip „Eine Kohlrübe als Kriegsdenkmal“, um den mutigen Kriegsgegner und Antifaschisten auch jüngeren Generation nahezubringen: https://www.baden18-45.de/filter/eine-kohlruebe-als-kriegsdenkmal/
Immerhin erste Schritte, um den engagierten Heidelberger dem Vergessen zu entreißen.