Rede auf Lechleiter-Gedenken

17. September 2014

Bei gutem Wetter und gut besucht fand am Montag das jährliche Lechleiter-Gedenken in Mannheim statt. In den Reden wurden heutige neonazistische Aktivitäten, die Verstrickungen der Behörden beim NSU und Repression gegen Antifaschist_innen thematisiert.   An dieser Stelle wollen wir nochmal auf das Gedenken an die ermordeten Widerstandskämpfer auf dem Heidelberger Bergfriedhof am 01.November hinweisen.   Im Folgenden die Rede, die von einem unserer Vorstände, Michael Csaszkoczy, gehalten wurde: Das Gedenken an unsere von den Nazis ermordeten Genossinnen und Genossen aus dem Widerstand war schon immer nicht nur eine hochpolitische, sondern auch eine hochaktuelle Angelegenheit. Auch wenn sich Gleichsetzungen unserer Gegenwart mit der Terrorherrschaft der Nazis verbieten:Vieles wirkt bis heute fort und längst nicht alle Strukturen, die die Terrorherrschaft der Nazis ermöglichten sind beseitigt.   Vor wenigen Wochen jährte sich der Überfall Nazideutschlands auf Polen zum 75. Mal. Der Kampf gegen den darauf folgenden Raub- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion war das Hauptthema der Widerstandsgruppe, die wir nach einem ihrer wichtigsten Mitglieder als Lechleiter-Gruppe zu bezeichnen gewohnt sind. Und heute? Bundespräsident Gauck hat die Gedenkfeier zum Jahrestag makabererweise ausgerechnet zur rhetorischen Mobilmachung gegen Russland genutzt. Die Lechleitergruppe versuchte unter schwierigsten Bedingungen mit ihrer Zeitung Gegenöffentlichkeit gegen die rassistische Mordhetze der gleichgeschaltete Presse zu schaffen. Vor wenigen Wochen kassierte der Mannheimer Morgen eine Rüge des Presserates wegen kollektiver Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten. Der Mannheimer Morgen ist dabei durchaus kein Einzelfall. Anders als die Mitglieder der Lechleitergruppe glaubten viele Mitglieder von SPD und KPD noch 1933, eine mörderisch irrwitzige Ideolgie wie der Nationalsozialismus könne sich – betraut mit der Verwaltung des Staatsapparates – nicht mehr als ein paar Wochen an der Macht halten. Vor zwei Monaten legte der Abschlussbericht des Thüringer Untersuchungsausschusses nahe, dass maßgebliche Teile des deutschen Sicherheitsapparates die Mörderbande, die sich Nationalsozialistischer Untergrund‘ nannte, gedeckt, vermutlich gefördert, in jedem Fall aber die Aufklärung ihrer Taten massiv behindert haben. Dennoch weigert sich der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall beharrlich, auch nur den Versuch zu machen, mit einem Untersuchungsausschuss Licht in die Verstrickungen des Verfassungsschutzes mit dem NSU zu bringen. Schon dieser kurze Blick auf die Nachrichten der vergangenen Wochen verdeutlicht, wie viel unser heutiges Gedenken an die Lechleitergruppe mit der Gegenwart zu tun hat. 1941, als der Kreis um Georg Lechleiter und Jakob Faulhaber begann, die Untergrundzeitung ‚Der Vorbote‘ herauszugeben, befanden sich die Nazis nicht nur im kriegerischen Siegestaumel und glaubten, ihren Raubkriegszielen zum Greifen nahe zu sein, sondern feierten auch die Ausschaltung jeder organisierten politischen Opposition. Spätestens mit dem Ausbruch des Krieges waren die illegalen Verbindungen zu den Abschnittsleitungen der KPD, den Verbindungsstellen der SPD und anderen sozialistischen Gruppen im Ausland fast vollständig abgebrochen. Die verbliebenen Widerstandsnetze waren auf sich allein gestellt. Das war die Situation, in der – ausgehend von der Basis – Mitglieder von SPD und KPD endlich zu jener Zusammenarbeit fanden, die so viel früher notwendig gewesen wäre. Zum Teil kannten sich ihre Mitglieder von früheren Versuchen, eine strömungsübergreifende Solidaritätsarbeit in der Roten Hilfe aufzubauen. In einer der Ausgaben des Vorboten heißt es: „Gewiss ist unsere Arbeit in der heutigen Zeit des Naziterrors nicht leicht. Aber zu allen Zeiten war die revolutionäre Tätigkeit mit Schwierigkeiten und Gefahren verbunden. Wer aber die Gefahren und Schwierigkeiten kennt, muss und wird denselben zu begegnen wissen, will er nicht von vornherein vor denselben kleinmütig kapitulieren und damit ungewollt die heutigen schmachvollen Verhältnisse als unabänderlich erkennen.“ Über die Bereitschaft des überwiegenden Teils der Bevölkerung zum widerstand gaben sich die Herausgeberinnen und Herausgeber des Vorboten keinen übertriebenen Illusionen hin. So zitieren sie in einer Ausgabe den jüdisch-deutschen Dichter Heinrich Heine, dessen Andenken die Nazis so gerne aus der Literatur und dem Gedächtnis der Menschheit ausgelöscht hätten: „ …Ich kenne meine Deutschen. Sie werden erschrecken, überlegen und – nichts tun“. 1942 wurde die Gruppe von den Nazis zerschlagen und ihre Mitglieder vor den berüchtigten Volksgerichtshof gestellt. Allein drei von ihnen – Hans Heck, Fritz Grund, Hans Probst – überlebten die Folterverhöre nicht. 18 weitere Mitglieder wurden zum Tode verurteilt und in Stuttgart hingerichtet. Kurt Tucholsky, der sich aus Verzweiflung über die deutschen Zustände im schwedischen Exil 1935 das Leben nahm, hat einmal formuliert: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein“. Als er das schrieb, konnte er noch nicht wissen, wie groß der Mut zu diesem ‚Nein‘ im nationalsozialistischen Deutschland einmal würde sein müssen. An den Menschen, die im Nationalsozialismus gewagt haben, Widerstand zu leisten, beeindruckt die Klarheit ihres politischen und moralischen Urteils. In einer Zeit, in der der übergroße Teil der Deutschen mitmachte oder schwieg – sei es aus Ohnmacht und Furcht vor dem mörderischen Terror der Nazis, sei es überwältigt von der Macht des Faktischen, vor dem scheinbar unaufhaltsamen Siegeszug der Barbarei – hatten sie den Mut zum Ungehorsam. Ihre innere Richtschnur zeigte den Männern und Frauen des Widerstands klar, dass es dort, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden, Wichtigeres gibt als die Frage, ob das eigene Handeln gesellschaftlich akzeptiert ist, ob es von der Mehrheit unterstützt wird und auch nicht ob es legal ist. Jedem, der 1940 Widerstand leistete war klar, dass er damit sein Leben riskierte. Die Mitglieder der Lechleiter-Gruppe waren dazu bereit. Der aus Ludwigshafen stammende Marxist und Antifaschist Ernst Bloch hat in seinem Werk ‚Das Prinzip Hoffnung‘ über die rätselhafte Bereitschaft materialistisch eingestellter Sozialistinnen und Sozialisten geschrieben, ihr Leben für die gemeinsame Sache zu opfern „scharf entgegen aller Hoffnung einer himmlischen Metaphysik und eines Jüngsten Gerichts, worin die Gerechten den Lohn empfangen, der ihnen auf der Erde ewig verweigert wurde.“ „Dennoch aber“ so Bloch „stirbt dieser Materialist, als wäre die ganze Ewigkeit sein. Das macht: er hatte vorher schon aufgehört, sein Ich so wichtig zu nehmen, er hatte Klassenbewußtsein. So sehr ist das Personenbewußtsein in Klassenbewußtsein aufgenommen, daß es der Person nicht einmal entscheidend bleibt, ob sie auf dem Weg zum Sieg, am Tag des Siegs erinnert ist oder nicht.“ Ganz gleich, ob wir heute mit dem Begriff ‚Klassenbewusstsein‘ noch etwas anfangen können oder nicht: Die Erkenntnis, dass es ein ‚Wir‘ gibt, das unserem ‚Ich‘ erst zu seiner eigentlichen, menschlichen Bedeutung verhilft, hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Aber es gibt auch über diese fundamentale Erkenntnis hinaus etwas, das wir nicht vergessen sollten, wenn wir heute unserer ermordeten Genossinnen und Genossen gedenken: Die Mitglieder der Lechleiter-Gruppe waren Arbeiterinnen und Arbeiter. Sie hatten nicht lange Jahre Kritische Theorie oder politische Wissenschaften studiert, um zu Horkheimers Erkenntnis zu kommen, dass vom Faschismus schweigen solle, wer vom Kapitalismus nicht reden will. Das Wissen darum, dass es zwischen Krieg, Faschismus und Kapitalismus einen inneren Zusammenhang gibt, stammte für die Mitglieder der Lechleiter-Gruppe aus ihren Kämpfen in der Arbeiterbewegung und ihren ureigensten Erfahrungen. Es ist kein Zufall, dass der früheste und entschiedenste Widerstand gegen den deutschen Faschismus von den Gruppen getragen wurde, die bereits vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten gegen Krieg und kapitalistische Ausbeutung gekämpft hatten. Dass der Kapitalismus die Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen nicht nur materiell enteignet, sondern auch das zerstört, was den Menschen zu einem sozialen und damit im eigentlichen Sinne erst menschlichen Wesen macht, wussten sie schon, bevor er in Deutschland in die offene Barbarei umschlug. Ihren Kampf gegen Faschismus und Krieg begriffen die Mitglieder der Widerstandsgruppe um Georg Lechleiter, Jakob Faulhaber und Albert Fritz auch als Kampf gegen eine Gesellschaft, in der der Mensch nicht mehr wert ist als der Profit, der sich aus seiner Arbeitskraft ziehen lässt. Auf diesen Zusammenhang zielte auch der Schwur der Häftlinge von Buchenwald, den Faschismus mitsamt seinen Wurzeln zu vernichten. Wenn wir das ernst nehmen – und ich finde, das sollten wir tun – dann hat unser Erinnern heute nichts Nostalgisches oder Sentimentales an sich, sondern beinhaltet eine nicht leicht zu schulternde Verpflichtung. Widerstand überall dort zu leisten, wo Menschenrechte nichts gelten. Widerstand zu leisten, der bereit ist, zum Ungehorsam gegenüber staatlicher und wirtschaftlicher Macht zu werden. Widerstand gegen Faschismus und Krieg zu organisieren, der über ideologische und politische Differenzen hinweg das Gemeinsame betont, ohne das große Ziel aus den Augen zu verlieren, das Marx in der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie so formuliert hat: „daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ Ein solcher Widerstand ist auch heute noch bitter notwendig. Ich möchte schließen mit Sätzen, die Albert Fritz wenige Stunden vor seiner Hinrichtung an seine Frau geschrieben hat: „Oft hast du mir von Schicksal geschrieben. Ich möchte dich aber doch bitten, von der schicksalhaften Betrachtung abzukommen. Schicksal ist etwas Unabwendbares. Unser Los aber ist von Menschen bestimmt.“ Dass die von Menschen bestimmte Geschichte endlich eine Geschichte wird, die ihre Bestimmung im Menschen findet, dazu soll auch unser jährliches Gedenken an die Lechleiter-Gruppe beitragen.