Redebeitrag bei der Dorfpride am 7.9.
7. September 2024
Am 7. September 2024 fand in Ketsch die Dorfpride statt. An diesem Christopher Street Day unter dem Motto „Queer, antifaschistisch, feministisch und intersektional!“ beteiligten sich über tausend queere Menschen aus der Region und ihre Unterstützer*innen, darunter auch viele Antifaschist*innen. Wir als VVN-BdA Heidelberg durften bei der Abschlusskundgebung eine Rede halten, die wir hier dokumentieren.
Liebe Queers, liebe Freund*innen, liebe Antifaschist*innen,
ich freue mich, dass ich heute hier bei der Dorfpride als Vertreterin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschist:innen Heidelberg sprechen darf.
Für uns als VVN-BdA gehört der Kampf gegen Homophobie und Queerfeindlichkeit zu unserem Selbstverständnis: Unsere Gründer:innen, die die Zuchthäuser und Konzentrationslager der Nazis überlebt hatten, waren aus unterschiedlichen Gründen verfolgt worden und kamen aus unterschiedlichen Kontexten. Der gemeinsame Versuch, den NS-Terror zu überleben und der Entmenschlichung zu widerstehen, überbrückte die Unterschiede. Die Unterschiede zwischen denen, die den roten Winkel der politischen Häftlinge, den gelben Winkel der jüdischen Häftlinge und den rosa Winkel derer trugen, die nicht ins binär-heterosexistische Weltbild der Nazis passten.
Der Kampf gegen Faschismus in all seinen Formen beinhaltet immer auch den Kampf gegen Queerfeindlichkeit. Umso mehr freuen wir uns, dass sich die Dorfpride als intersektional und antifaschistisch versteht und das in ihrem Motto bekräftigt. Denn das ist heute nötiger denn je.
Wir alle haben mit Entsetzen die schockierenden Bilder aus Bautzen gesehen: Ein gewaltiger Mob von 700 aggressiven Neonazis bedrohte am 10. August den Demonstrationszug zum Christopher Street Day und beschimpfte die rund 1.000 Teilnehmer:innen mit queerfeindlichen und anderen rechten Parolen. Nur eine Polizeikette trennte die hasserfüllte faschistische Menge vom Pride March. Die CSD-Veranstalter:innen sahen sich gezwungen, die Aftershow Party am Abend aus Sicherheitsgründen abzusagen.
Für den Pride March in Leipzig mobilisierten die Nazis erneut, konnten aber ihren faschistischen Hass nicht so nahe an den CSD-Teilnehmer:innen ausleben.
Nachdem die AfD in Sachsen mit über 30 Prozent der Stimmen unmittelbar hinter der CDU liegt und in Thüringen sogar stärkste Kraft geworden ist, steht zu befürchten, dass vor allem dort die Zahl queerfeindlicher Angriffe und Bedrohungen weiter zunimmt.
Gleichzeitig ist das Problem keineswegs beschränkt auf diese beiden Bundesländer: Ermutigt von der faschistischen Massenmobilisierung in Bautzen tauchten dieses Jahr bundesweit rechte Gruppen am Rand von Pride Marches auf, bedrohten und beschimpften Teilnehmer*innen. Immer wieder kam es zu offenen Mobilisierungen im Vorfeld – so wie auch heute durch die NPD Rhein-Neckar, die seit einigen Tagen für heute eine queerfeindliche Kundgebung auf dem Marktplatz hier in Ketsch ankündigte. Auch wenn hier nebenan nur ein klägliches Häuflein von Nazis steht, müssen wir heute die Augen offenhalten: Achtet aufeinander und macht euch danach nicht alleine auf den Heimweg!
Der Pride March ist leider keine Selbstverständlichkeit, sondern muss immer wieder erkämpft und gegen Angriffe von rechts verteidigt werden. Gemeinsam setzen wir das Motto der Dorfpride erfolgreich um: „Queer, antifaschistisch, feministisch und intersektional!“
Federführend bei dieser neuen Welle queerfeindlicher Mobilisierungen ist die AfD. Seit Jahren dient die rechte Partei militanten Neonazis als Stichwortgeberin in anti-queerer, transfeindlicher Rhetorik, zum Beispiel wenn ihr inoffizieller „Führer“ Björn Höcke gegen das „Regenbogenimperium“ hetzt. Aber nicht nur einzelne prominente Faschist:innen, sondern die gesamte AfD zeichnet ein Bild, in dem die heterosexuelle Familie einen so genannten „gesunden Volkskörper“ produzieren soll. Damit verbunden sind die Entrechtung von Frauen, die auf ein Lebensmodell des 19. Jahrhunderts zurückgeworfen werden sollen, und die Ausgrenzung queerer Menschen – bis hin zur offenen Verfolgung.
Queere Menschen sind eines der zentralen Feindbilder der Rechten – ob AfD, faschistische Kleinparteien oder militante Nazigruppen. Die Zahl der bekannt gewordenen queer- und transfeindlichen Übergriffe ist in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt, und die Dunkelziffer ist enorm. Immer wieder kommt es sogar zu queer- und transfeindlichen Morden – wie beispielsweise 2022 gegen Malte C. beim CSD in Münster.
Bei der aggressiven Hetze ist die AfD im parlamentarischen Bereich derzeit die treibende Kraft, die in der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommen wird.
Allerdings ist zu befürchten, dass weitere Parteien auf diesen Kurs einschwenken: Auch bei anderen Themen haben die anderen Parteien Forderungen der AfD aufgegriffen und umgesetzt, etwa bei der Ausgrenzung und Entrechtung von Geflüchteten. Die Abschiebepolitik wird immer brutaler durchgesetzt. Auf die besondere Schutzbedürftigkeit etwa queerer Geflüchteter, die aus offen queerfeindlichen Ländern geflohen sind, wird ohnehin keine Rücksicht genommen.
Dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vor einer Woche die vollständige Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl forderte, ist nur eines von zahllosen Beispielen.
Wenn dieses elementare Grundrecht, das eine Lehre aus den Verfolgungen der Nazizeit war, vollends abgeschafft werden soll – wie sicher kann dann die queere Community sein, dass sie nicht als nächstes im Fokus steht?
Schon jetzt werden die Stimmen im konservativen Lager lauter, die das binäre Geschlechterbild propagieren und sich gegen Geschlechtervielfalt positionieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass andere Parteien versuchen, dem Aufschwung der AfD etwas entgegenzusetzen, indem sie schlichtweg ihre Forderungen übernehmen und so um die AfD-Wähler:innen buhlen.
Das gilt für alle Themenbereiche. Heute trifft es vielleicht andere Communities, aber auch gegen queere Menschen häufen sich die verbalen Angriffe der so genannten bürgerlichen Mitte.
Unsere Antwort darauf kann nur sein: We are here, we are queer, refugees are welcome here!
Ich möchte noch auf ein weiteres Thema eingehen.
In den letzten Jahren verschärft sich das staatliche Vorgehen gegen Antifaschist:innen, also gegen genau jene, die sich dem queerfeindlichen braunen Mob entschlossen entgegenstellen.
Das ist hier in Baden-Württemberg der Fall, wo immer wieder Antifaschist:innen zu hohen Strafen verurteilt werden – teilweise sogar zu Haftstrafen wie in Stuttgart, wo derzeit drei Aktivisten wegen ihres antifaschistischen Engagements hinter Gittern sind. Vor allem aber in Thüringen und Sachsen gehen die Landeskriminalämter brutal gegen antifaschistisch Engagierte und ihr soziales Umfeld vor.
Zum Teil kommt es sogar zu internationaler Verfolgung wie im so genannten Budapest-Komplex. Hier arbeitet die Bundesregierung mit dem offen queerfeindlichen Rechtsaußen-Regime in Ungarn zusammen.
Ein besonders erschreckendes Beispiel dabei ist der Fall von Maja, einer non-binären Person aus Jena. Maja wird beschuldigt, im Februar 2023 an antifaschistischen Protesten in Budapest teilgenommen zu haben. Diese Proteste richteten sich gegen das jährliche faschistische Großevent „Tag der Ehre“, bei dem Nazis aus ganz Europa in SS- und Wehrmachtsuniformen durch die ungarische Hauptstadt marschieren und den Nationalsozialismus verherrlichen. Während die Nazis vom ungarischen Orbán-Regime wohlwollend geduldet werden, werden Antifaschist:innen drangsaliert und angegriffen.
2023 kam es am Rand der Proteste zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen einigen bekannten Nazis und Antifaschist:innen. Drei Antifas wurden noch in Budapest festgenommen und unter unsäglichen Haftbedingungen eingesperrt.
Gegen weitere Beschuldigte ermittelt Ungarn seither mit europäischem Haftbefehl und Öffentlichkeitsfahndung, also mit Steckbriefen mit Fotos und vollem Namen im Internet. Um keinesfalls an Ungarn ausgeliefert zu werden, sind mehrere Antifaschist:innen seither untergetaucht. Den Beschuldigten im sog. Budapest-Komplex drohen hohe Haftstrafen von bis zu 24 Jahren.
Seit Jahren ist klar: Ungarn kennt keine rechtsstaatlichen Minimalstandards mehr – das bestätigen EU-Institutionen, internationale Kommissionen und Menschenrechtsorganisationen immer wieder. Die unmenschlichen Haftbedingungen und Fotos der beschuldigten italienischen Antifaschistin Ilaria, die – an Händen und Füßen gefesselt – an einer Kette in den Budapestern Gerichtssaal geführt wurde – das alles bewegte die italienische Justiz dazu, keine weiteren Antifaschist:innen nach Ungarn auszuliefern. Und das, obwohl Italien nun wahrlich nicht von fortschrittlichen Kräften regiert wird. Sogar Rechtsaußen-Regierungschefin Giorgia Meloni setzte sich für die Freilassung der italienischen Antifaschistin ein.
Nicht so die bundesdeutschen Behörden.
Sie lehnten es nicht nur ab, die Freilassung der in Budapest angeklagten deutschen Antifaschist:innen zu fordern, sondern ermitteln sehr aktiv gegen die Beschuldigten, die aus Angst untergetaucht sind.
Im Dezember 2023 wurde Maja T. in Berlin mit einem brutalen Polizeieinsatz verhaftet. Maja wird ebenfalls von den ungarischen Behörden beschuldigt, an der Auseinandersetzung mit Nazis beteiligt gewesen zu sein, und wurde zur Fahndung ausgeschrieben. Familie, Freund:innen und Mitstreiter:innen der non-binären Person waren schon in den Monaten zuvor von der thüringischen Polizei massiv unter Druck gesetzt worden – durch Hausdurchsuchungen, persönliche Besuche und Überwachung. Seit Dezember 2023 saß Maja in Untersuchungshaft.
Obwohl die offen queerfeindliche Haltung des ungarischen Regimes bekannt ist, drängten die zuständigen hiesigen Behörden – insbesondere die Berliner Generalstaatsanwaltschaft – auf eine Auslieferung.
Dabei ist klar: Wenn schon Antifaschist:innen allgemein in ungarischen Gefängnissen extrem gefährdet sind, gilt das für non-binäre Personen umso mehr.
Monatelang mobilisierten Menschenrechtsorganisationen, einzelne engagierte Politiker:innen, queere und antifaschistische Gruppen, um die lebensgefährliche Auslieferung von Maja zu verhindern.
Weder der öffentliche Druck noch die katastrophale Lage in Ungarn interessierte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft – sie forcierte die Auslieferung weiter. Schließlich nutzte sie ein winziges Zeitfenster Ende Juni – und handelte dabei offen rechtswidrig:
Am Abend des 27. Juni ließ das Berliner Kammergericht die Auslieferung von Maja zu. Sofort legte Majas Anwalt Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein, und es war klar, dass das Bundesverfassungsgericht innerhalb kürzester Zeit eine Entscheidung treffen und aller Wahrscheinlichkeit nach die Auslieferung vorläufig untersagen würde.
Statt dieses höchstrichterliche Urteil abzuwarten, drangen wenige Stunden später – mitten in der Nacht – Beamt:innen in Majas Zelle ein und lieferten die antifaschistische Person über Österreich an Ungarn aus.
Mit dieser Nacht-und-Nebel-Aktion schufen die deutschen Behörden rechtswidrig Tatsachen.
Als am nächsten Morgen, also am 28. Juni, das Bundesverfassungsgericht wie erwartet die Auslieferung vorläufig untersagte, war Maja bereits in Budapest in Haft.
Wie zu erwarten sind die Zustände katastrophal – von schimmligem Essen über Ungezieferbefall der Zelle bis hin zu Misshandlungen von Mitgefangenen durch das Wachpersonal, die Maja miterleben muss. Besuche sind bisher auf engste Angehörige beschränkt und dürfen nur mit Trennscheibe stattfinden. Majas deutscher Anwalt hat bis heute keinen Zugang zu Maja erhalten, sondern nur eine eilends bestellte ungarische Verteidigung.
Wir verurteilen die rechtswidrige Auslieferung einer antifaschistischen non-binären Person an das offen queerfeindliche Ungarn! Maja muss zurückgeholt werden!
Und wir müssen verhindern, dass die deutschen Behörden weitere Antifaschist:innen ausliefern. Auch die Nürnbergerin Hanna, die im Mai verhaftet wurde, wird beschuldigt, bei der Auseinandersetzung mit Nazis in Budapest beteiligt gewesen zu sein.
Wir schließen uns der Forderung an, die Majas Eltern bei einer Petition bei weact formuliert haben:
Holt Maja zurück! Keine Auslieferungen an Ungarn!
Den Kampf gegen erstarkendes rechtes Gedankengut und queerfeindliche Hetze, gegen Hate Speech und Hassverbrechen, gegen die Rechtsentwicklung der gesamten Gesellschaft und gegen faschistische Gruppen und Parteien wie die AfD – diesen Kampf müssen wir alle gemeinsam führen – in Ketsch und überall.
Lasst uns mit der heutigen Dorfpride ein starkes Zeichen setzen: Queer, antifaschistisch, feministisch und intersektional!