Redebeitrag bei der Kundgebung „Tatort Drehscheibe“ am 26. Juni 2021
2. Juli 2021
Am 26. Juni 2021 veranstalteten wir gemeinsam mit der Antifa-Jugend Walldorf eine Gedenkkundgebung an der „Drehscheibe“ Walldorf, um die brutalen Misshandlungen örtlicher Kommunisten durch die Nazis im Juni 1933 dem Vergessen zu entreißen. Der Hauptredebeitrag „Tatort „Drehscheibe“: Erinnerung an eine NS-Terroraktion in Walldorf (Rhein-Neckar-Kreis)“, den wir unten gekürzt dokumentieren, berichtete über die blutigen Vorgänge an diesem Tag und benannte einige der Täter. Im Anschluss stellte ein Mitglied der Antifa-Jugend Walldorf den Bezug zur Gegenwart her und forderte dazu auf, sich den erstarkenden faschistischen Umtrieben entgegenzustellen.
„Tatort „Drehscheibe“: Erinnerung an eine NS-Terroraktion in Walldorf (Rhein-Neckar-Kreis)
Am 26. Juni 1933 holten die Nazis zu einem brutalen Schlag gegen Anhänger der Kommunistischen Partei aus. Die NSDAP hatte es im nordbadischen Walldorf Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre schwer, sich gegen die in der KPD organisierte Arbeiterschaft durchzusetzen. Bis nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 kam es immer wieder zu offene Auseinandersetzungen zwischen Faschisten und Kommunisten.
So auch am 25. Juni, als sich auf dem Feuerwehrfest im benachbarten Sandhausen ein Walldorfer NSDAP-Anhänger mit antifaschistisch eingestellten Mitgliedern der Walldorfer Feuerwehrkapelle eine Schlägerei lieferte. Noch am selben Abend organisierte der betroffene Nazi eine Racheaktion. Mit mehreren SA-Männern zog er zur Gaststätte „Zum Wilhelmsberg“, um mit den dort weiterfeiernden Männern vom Spielmannszug der Feuerwehr abzurechnen. Es kam zu einer wüsten Schlägerei, bei der im Lokal großer Sachschaden entstand.
Am Morgen des 26. Juni organisierte die örtliche Nazi-Führung eine Vergeltungsmaßnahme. NSDAP-Ortsgruppenleiter Emil Kempf bat beim Heidelberger SS-Sturmbannführer Konrad Zahn – übrigens ein gebürtiger Walldorfer – um Unterstützung. Zwischen 9 und 10 Uhr wurde SS-Sturmführer Fritz Römer aus Kirchheim telefonisch mit der Durchführung der Racheaktion beauftragt.
Um die Mittagszeit fuhren mehrere uniformierte SS-Angehörige von Römers Sturm, überwiegend aus Leimen und Sandhausen, mit Autos oder Fahrrädern nach Walldorf und sammelten sich am Hotel Astoria, an der so genannten Drehscheibe in der Stadtmitte.
Einzelne Trupps von vier bis fünf SS-Männern schwärmten aus. Unter der Führung ortskundiger Walldorfer SA- und SS-Mitglieder begannen sie mit der Suche nach bekannten Kommunisten. Die Ortsgruppenleitung hatte hierfür extra eine Liste angefertigt, die nun abgearbeitet wurde.
Zunächst wurden die näher liegenden Straßenzüge durchsucht. Sobald die Gesuchten in ihren Wohnungen oder an ihren Arbeitsstellen ausfindig gemacht wurden, brachte man sie in den Hof des Hotels. Teilweise wurden die Männer schon auf der Straße mit Stahlruten, Schulterriemen und Gummiknüppeln geschlagen.
In der Waschküche des Hotels hatten die Nazis eigens einen Verbandsplatz eingerichtet. Der SA-Standartenarzt Dr. Weber aus Walldorf stand dort zusammen mit der Tochter der Hoteliers bereit, um die Misshandelten notdürftig versorgen zu können. Die Organisatoren der Racheaktion wussten also schon im Vorfeld, dass sie ihren Opfern schwerste Verletzungen zufügen würden.
Zudem hatten die Verantwortlichen die Telefonleitungen des Rathauses und der Ortspolizei abgestellt, um einen ungestörten Ablauf der Vergeltungsmaßnahme zu gewährleisten.
Nachdem die Opfer in den Hof des Hotels geschleppt worden waren, wurde sie nacheinander unter wüsten Beschimpfungen durch eine von SA- und SS-Männern gebildete Spießrutengasse gejagt. Mit Schaufel- und Pickelstielen, Gummiknüppeln und Stahlruten wurde auf die Antifaschisten eingedroschen.
Auf dem Treppenvorplatz des Hofs standen während der gesamten Vorgänge Ortgruppenleiter Kempf sowie SS-Führer Römer und erteilten Befehle an ihren Schlägertrupp. Zwischenzeitlich teilten Postmeister Karl Eichhorn, Ortsgruppenleiter Emil Kempf und Hotelier Ludwig Kaufmann großzügig Zigarren an die SA- und SS-Schläger aus und luden diese zur Stärkung in die Gaststube ein.
Nach der ersten Runde der Misshandlungen mussten die Antifaschisten teils schwer verletzt über eine Stunde lang mit dem Gesicht zur Wand stillstehen.
Die 13 Misshandelten wurden genötigt, in einer Reihe anzutreten, so dass SS-Führer Römer eine Ansprache an sie richten konnte. Man sei dieses Mal noch gnädig gewesen. Das nächste Mal würde man mit den Kommunisten in den Wald fahren. Was das bedeuteten sollte, wussten alle.
Anschließend wurde erneut eine Spießrutengasse gebildet, um die blutüberströmten Männer noch einmal hindurchzujagen.
Augenzeugen berichteten, dass das Blut der Geschundenen bis auf die Straße gelaufen sei.
Der größte Teil der Walldorfer Bevölkerung hatte Kenntnis von der brutalen Racheaktion bekommen. Rund 100 Menschen hatten sich während der Geschehnisse rund ums Hotel Astoria versammelt. Die Hilfe- und Schmerzensschreie der geschundenen Männer waren über Stunden im Umkreis der Drehscheibe zu hören. Diejenigen, die es nicht selbst erlebt hatten, erfuhren von Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen von dem Terrorakt. Noch Tage später war das getrocknete Blut auf dem Boden des Hotelhofs und in der Einfahrt zu sehen. Die Nazis hatten ihre Brutalität der gesamten Bevölkerung offenbart.“