Grußwort zum Gedenken am 1. November

4. November 2020

Für die Gedenkstunde am 1. November, die alljährlich von der VVN-BdA Heidelberg und dem DGB Nordbaden veranstaltet wird, verfasste Jörg Götz-Hege, stellvertretender Kreisvorsitzender des DGB Heidelberg-Rhein-Neckar, das folgende Grußwort:

„Vor mehr als 40 Jahren trat ich der Gewerkschaft und wenig später der VVN-BdA bei.

Das nahezu zeitliche Zusammenfallen war kein Zufall. Wenn es mir damals noch nicht so deutlich bewusst war, ist es mir die Erkenntnis heute umso dringlicher: Gewerkschafts- und antifaschistische Bewegung stehen in einer gemeinsamen historischen Verantwortung. Schauen wir uns heute die Beschaffenheit der Welt an, schiebt sich ein Bild in den Vordergrund, wonach wir in wahrlich ent-sicherten Verhältnissen leben, sei es durch die Rechtsentwicklungen, den aufkeimenden und allgegenwärtigen Autoritarismus, durch Kriege und militärische Bedrohungsszenarien, durch offenen und strukturellen Rassismus, vielfache Bedrohungen des Verlusts der natürlichen Lebensgrundlagen durch Hunger, Flucht und Zerstörung unserer Umwelt.

Hier gilt es ein Zusammenwirken zu schaffen, eine Einheit in einer Vielfalt von Bewegungen zusammenzuführen. Genau dieser Gedanke inspirierte mich bei jenen Zeitzeugen, die ich noch kennen- und schätzen lernen durfte. Es waren jene, die Folter und KZ überlebten, im Exil Widerstand leisteten oder auch sich im Alltag des Nationalsozialismus behaupteten. Sie lebten den Grundsatz, wonach im Wirken gegen den Faschismus nichts Trennendes stehen darf, keine Weltanschauung oder religiöser Glaube. Ihr alle kennt Martin Niemöllers Gedicht, als er deklamierte, dass es niemanden mehr gab, der von den Nazis jetzt noch geholt werden konnte, nachdem er schwieg, als die Nazis Verbrechen an ihren Gegnern verübten.

Das Einheitliche herausstellen und das Trennende einer politischen Kultur des Diskurses anheimzustellen, heißt seither das Gebot der Stunde. Diesen Gedanken beherzigten vor allem jene, die den Naziterror überlebten und in der Bundesrepublik weiterhin politisch tätig blieben. Und was mich vor allem beeindruckte und bis heute tief prägte: Bei allen Grausamkeiten, ob in Gefangenschaft und Folter, sie hatten eines gemeinsam: Trotz der Bitternis, ja auch der Bitternis bereits wieder in den 50iger Jahren erneut politisch verfolgt oder zumindest angegangen zu werden. Nicht wenige mussten fortlaufend gegen Diskriminierung und Benachteiligung kämpfen und Einschnitte in ihren Lebensläufen hinnehmen. Stellvertretend möchte ich hier Peter Gingold, Sophie Berlinghof und Max Oppenheimer nennen, denen ich persönlich sehr viel verdanke.

Sie zeichnete kein Hass auf diese Welt aus, sondern ein grundlegender Optimismus und positive Haltung zum Leben. Ja, mit Hannah Arendt ließe sich sagen, eine Liebe zur Welt.

Warum betone ich das? – Nun, ich bin Gewerkschafter in der GEW, der Bildungsgewerkschaft im DGB und in Sorge um die Köpfe unserer Kinder und der Jugend. Ich sorge mich in der Tat um die Anschlussfähigkeit einer großen Anzahl der nachwachsenden Generation nach rechts.

In Anlehnung an Arno Gruen möchte ich es einmal so formulieren. Wir müssen unbeirrbar den Rechten scharf entgegentreten, die Strukturen aufdecken – wie aktuell in den Burschenschaften, informieren, aufklären und einschreiten.

Gleichzeitig, und hier kommt eine Dialektik ins Spiel, müssen wir im Wirken mit der jungen nachwachsenden Generation das Schöne und Ästhetische dieser Welt vermitteln.

Das Gegenmittel zum gesellschaftlichen Verfall ist die Förderung von liebenden und entgegenkommenden Erfahrungen in der Entwicklung. Wir müssen alles fördern, was die Liebe zur Welt gedeihen lässt. Das hat viel mit Empathie zu tun. Empathie ist die Schranke zur Unmenschlichkeit und der Kern unseres Menschseins, also auch Kern dessen, was unser Eigenes ist.

Wenn wir dies beherzigen, erfüllen wir ein Vermächtnis, ganz sicher auch derer, derer wir heute hier gedenken und vor denen wir uns in Demut verneigen.“