Rede der VVN-BdA Heidelberg am 1.11.2021

3. November 2021

Mit der folgenden Rede eröffnete die VVN-BdA Heidelberg das Gedenken auf dem Heidelberger Bergfriedhof:

Liebe Kameradinnen und Kameraden, liebe Freundinnen und Freunde,

ich möchte euch alle ganz herzlich begrüßen zur alljährlichen Gedenkveranstaltung, die von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der AntifaschistInnen Heidelberg zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund Heidelberg/Rhein-Neckar organisiert wird.

Wie seit vielen Jahrzehnten haben wir uns heute am 1. November versammelt, um an die von den Nazis ermordeten Widerstandskämpferinnen und -kämpfer zu erinnern, deren sterbliche Überreste hier ruhen. Diese mutigen Antifaschistinnen und Antifaschisten, ihr selbstloses Eintreten für eine Welt ohne Faschismus und Ausbeutung sind uns ein wichtiges Vorbild. Ein wichtiges Vorbild in einer Zeit, in der rechte Parteien und faschistische Gruppierungen immer stärker werden, in der Rassismus und Antisemitismus wieder salonfähig werden, in einer Zeit, in der fast wöchentlich neue rechte Netzwerke in Behörden und Bundeswehr enttarnt werden, in der mörderischer Nazi-Terror zum erschreckenden Alltag geworden ist, in einer Zeit, in der die Bundesrepublik wieder Kriege in aller Welt führt und sich gegen flüchtende Menschen brutal abschottet.

Denn hier zu stehen und uns zu erinnern, heißt auch, das Erbe dieser ermordeten Antifaschistinnen und Antifaschisten anzunehmen und ihren Kampf gegen Faschismus und Krieg fortzuführen.

Die 27 Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, die hier ruhen, nahmen es unter Lebensgefahr auf sich, dem menschenverachtenden Faschismus entgegenzutreten. Sie waren nicht bereit wegzusehen. Sie schlossen sich zusammen und erhoben sich, um Widerstand zu leisten.

Die meisten von ihnen waren als Kommunistinnen und Kommunisten, als Sozialistinnen und Sozialisten schon früh im Visier der Nazis gewesen. Sie waren selbst dem Terror der Nazis ausgesetzt, sie erlebten die Verhaftungen ihrer Genossinnen und Genossen und aller Menschen, die nicht in das Weltbild der Nazis passten. Sie sahen den mörderischen Vernichtungskrieg der Nazi-Wehrmacht, die industrielle Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, die systematische Ermordung Hunderttausender Sinti und Roma, die Massaker an der Zivilbevölkerung in der Sowjetunion und die Verschleppung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die blutige Verfolgung zahlreicher weiterer Menschengruppen, die nicht in das Weltbild der Nazis passten.

Doch trotz der Gefahren, trotz der feindseligen Umgebung und der geringen Möglichkeiten, die sie hatten, ließen sich diese Widerstandskämpferinnen und -kämpfer nicht einschüchtern: Sie folgten ihrer antifaschistischen Überzeugung, ihren ethischen und politischen Prinzipien. Sie erhoben sich gegen den übermächtigen Gegner der Nazi-Barbarei auch im Wissen, dass sie ihr Leben riskierten, dass sie möglicherweise gerade aufgrund ihres Widerstands die Zerschlagung des Nazismus nicht mehr erleben würden. Ihnen allen gebührt unser tiefster Dank und unsere Anerkennung.

Von manchen der 27 Menschen, die auf diesen Tafeln stehen, wissen wir vieles.

Am bekanntesten in der Region sind sicherlich die zehn Männer und Frauen aus der kommunistischen Vorbote-Gruppe um Georg Lechleiter, die ihren Schwerpunkt in Mannheim hatte. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion brachten sie die Untergrund-Zeitung „Der Vorbote“ heraus. 19 dieser mutigen Antifaschisten und Antifaschistinnen wurden zum Tode verurteilt und in Stuttgart hingerichtet, drei weitere in den Verhören extralegal ermordet.

Die sieben elsässischen Gewerkschafter der Wodli-Gruppe sind ebenfalls bekannt. Sie gehörten zu einer Sektion der französischen Résistance, die großteils aus Bergleuten und Bahnarbeitern bestand. Diese Widerstandskämpfer unterhielten Waffen- und Munitionslager, verbreiteten antifaschistische Zeitungen und traten den Nazis mit Sabotageaktionen und Anschlägen auf Waffentransporte entgegen.

Auch der Heidelberger Kommunist Heinrich Fehrentz, der als Teil einer kleinen antifaschistischen Gruppe wegen Abhörens ausländischer Radiosender zum Tode verurteilt wurde, ist wohl den meisten ein Begriff.

Doch über viele der hier beigesetzten Antifaschisten wissen wir nur wenig, teilweise nicht mehr als den Namen und das Hinrichtungsdatum. Doch es ist unsere Aufgabe, sie dem Vergessen zu entreißen.

Deshalb will ich heute zumindest einen der hier Beigesetzten näher vorstellen, nämlich Jakob Welter aus Dudweiler im Saarland.

Jakob Welter wurde 1907 in eine sozialistische Familie geboren; sein Vater, der Bergmann und USPD-Anhänger Christian Welter, gründete 1920 die KPD-Ortsgruppe im „roten Dudweiler“. In den frühen 1930er Jahren engagierte sich Jakob Welter immer stärker in der regionalen KPD und wurde 1934 sogar Unterbezirksleiter. Zu diesem Zeitpunkt waren die Nazis bereits an der Macht, doch das Saarland stand unter Völkerbundmandat, so dass die ArbeiterInnenbewegung noch nicht in den Untergrund getrieben worden war. Stattdessen wurde das Saarland zum Anlaufpunkt für Tausende aus Deutschland flüchtende politisch Verfolgte, die vom Grauen des NS-Terrors berichteten. Zugleich wurde die Region zur Drehscheibe des antifaschistischen Widerstands, indem von hier aus die Gruppen jenseits der Grenze aktiv unterstützt wurden.

Doch auch im Saarland gewannen die Nazis an Stärke, und auch die behördliche Repression gegen antifaschistische Kräfte nahm zu. Anfang 1935 stimmte die überwältigende Mehrheit der saarländischen Bevölkerung für den Anschluss an NS-Deutschland, und Tausende Antifaschisten und Antifaschistinnen flüchteten vor den einmarschierenden Nazis ins Ausland. Auch Jakob Welter floh mit seiner Frau Helma und dem neugeborenen Sohn Manfred vor der drohenden Verhaftung nach Frankreich, wo sie von der Roten Hilfe unterstützt wurden und in der kommunistischen Emigration tätig waren. Im September 1935 sandte die KPD-Exilleitung Jakob Welter als Mitarbeiter der Auslandsabteilung des Zentralkomitees nach Schweden, woraufhin die Familie zunächst in Stockholm, später in Göteborg lebte. Hier arbeitete Welter in einem kommunistischen Netzwerk mit, das über die Internationale Transportarbeiter-Föderation und deutsche Seeleute Druckschriften der KPD und anderer antifaschistischer Organisationen nach NS-Deutschland schmuggelte.

Mit Kriegsbeginn änderten sich die Schwerpunkte der schwedischen Exil-KPD: Die dort lebenden aktiven Emigranten und Emigrantinnen sollten heimlich nach NS-Deutschland einreisen, um dort die kommunistischen Widerstandszellen zu vernetzen und neue Leitungen aufzubauen. Zwar waren alle Deutschen interniert worden – auch die vor den Nazis Geflüchteten –, doch die KPD beschloss, für einige besonders für die illegale Arbeit geeignete Genossen die Flucht aus dem Lager zu organisieren. Zu ihnen gehörte auch Jakob Welter, der gemeinsam mit zwei weiteren Kommunisten im August 1941 aus dem Lager Långmora entkam.

Von den Niederlanden aus organisierte Welter monatelang zusammen mit führenden Exilkommunisten seine Einreise ins Reichsgebiet. Anfang Januar 1943 fuhr er zunächst ins Saargebiet, wo er auf familiäre und politische Netzwerke zurückgreifen konnte, und versuchte, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen, die Möglichkeiten organisierten Widerstands zu erkunden.

Doch am 19. Januar 1943 wurde er von der Gestapo verhaftet und in das berüchtigte Lerchesflur-Gefängnis in Saarbrücken verschleppt, wo er mehr als ein Jahr verbrachte. In den unvorstellbar brutalen monatelangen Verhören und Folterungen gab Jakob Welter keine verwertbaren Informationen preis. Er nannte nur einzelne Decknamen von Amsterdamer Genossinnen und Genossen, behauptete durchgehend, sich nicht an die illegalen Quartiere zu erinnern, und zu seiner genauen Tätigkeit und seinen Kontakten im Saargebiet machte er keine Aussage. Nicht einmal seinen engsten Genossen in den Niederlanden, Wilhelm Knöchel vom KPD-Zentralkomitee, belastete er in irgendeiner Form.

Am 1. Februar 1944 wurde Jakob Welter für den Prozess nach Stuttgart verlegt und am 22. Februar vom dortigen Oberlandesgericht zum Tode verurteilt – obwohl es ihm wegen seiner konsequenten Aussageverweigerung keine illegale Arbeit im Saarland nachweisen konnte. Jakob Welter wurde am 19. April 1944 in Stuttgart hingerichtet. Der Abschiedsbrief an seine Frau Helma und seinen Sohn Manfred, die er seit seiner Internierung im April 1940 nicht mehr gesehen hatte, wurde ihm verwehrt.

Wenn wir heute an Jakob Welter, an all diese Antifaschistinnen und Antifaschisten erinnern, dann tun wir dies im Wissen um ihre unerschütterliche Bereitschaft, ihre Ideale und ihr Menschsein gegen die Nazibarbarei zu verteidigen und dafür keine Opfer zu scheuen.

Doch wir wollen auch an all die anderen Menschen erinnern, die von den Nazis verfolgt, ausgebeutet, ermordet wurden. Deshalb dürfen wir als Hauptredner heute Marco Brenneisen hier begrüßen, der zum Thema „Sklaven für den Endsieg. Die Allgegenwart ausländischer Zwangsarbeiter*innen in der Rhein-Neckar-Region“ spricht.