Rede der VVN-BdA Heidelberg am 4. Juli 2020 in Kandel

4. Juli 2020

Am 4. Juli 2020 versammelten sich viele AntifaschistInnen aus der Region in Kandel, um dem erneuten Aufmarsch des rechten „Frauenbündnisses“ entgegenzutreten und ein klares und lautstarkes Zeichen gegen faschistische und rassistische Hetze zu setzen. Vor Ort waren auch Mitglieder der VVN-BdA aus verschiedenen Städten, und als Kreisvereinigung Heidelberg hielten wir den folgenden Redebeitrag:

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

ich freue mich sehr, dass ich bei der heutigen Kundgebung für die VVN-BdA Heidelberg sprechen darf. Wir als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen beobachten mit größtem Entsetzen, wie seit Jahren rechte Kräfte erstarken, wie Aufmärsche wie die des so genannten Frauenbündnisses zum Alltag gehören, wie faschistisches Gedankengut gesellschaftsfähig wird und wie Nazistrukturen dieses menschenverachtende Weltbild mörderisch in die Tat umsetzen.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue Schreckensmeldungen auf uns hereinprasseln, die die Breite dieser neuen rechten Bewegung zeigen: brutale Morde wie an dem CDU-Politiker Walter Lübcke oder an neun MigrantInnen in Hanau, Anschläge auf die Büros demokratischer Parteien und Morddrohungen gegen JournalistInnen und engagierte AntirassistInnen, das Bekanntwerden von Nazinetzwerken, die mit so genannten Todeslisten weitere Anschläge vorbereitet und Waffen gehortet haben – die Liste könnte unendlich verlängert werden.

Die Älteren von uns fühlen sich an die frühen 1990er erinnert, als sich die Pogrome und Brandanschläge von Rostock-Lichtenhagen, Mannheim-Schönau, Solingen und vielen weiteren Städten überschlugen und fast täglich Neonazis MigrantInnen angriffen, verletzten und oftmals ermordeten.

Wenn die Ermittlungsbehörden und einige Medien uns heute weiterhin erklären, es handle sich bei den jetzigen Vorfällen um psychisch instabile und verwirrte Einzeltäter, sagt das mehr über die Ermittlungsbehörden und die Medien aus als über die Realität: die Ideologie des „führerlosen Widerstands“ wird seit Jahren in der Naziszene propagiert und umgesetzt.

Was die jetzige Entwicklung noch gefährlicher macht, ist, dass die Nazi-Mordbanden sich auf breite Sympathien und teils enge Verflechtungen im Staatsapparat verlassen können.

Für viele von uns war es ein Schock, als nach dem Bekanntwerden des Nazi-Terrornetzwerks „Nationalsozialistischer Untergrund“ immer offensichtlicher wurde, dass der Inlandsgeheimdienst, der so genannte Verfassungsschutz, nicht nur systematisch die Aufklärung behinderte und Daten vernichtete, sondern von Anfang an den NSU protegiert hatte.

Wie weit die Rolle dieser staatlichen Behörde ging und wie groß das Nazinetzwerk war, ist bis heute nicht aufgeklärt, auch wenn schlimmste Befürchtungen nahe liegen. Sowohl der NSU-Prozess als auch die zahlreichen Untersuchungsausschüsse haben hauptsächlich zwei Dinge sichtbar gemacht: dass die drei als Hauptverantwortliche des NSU Präsentierten nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs bilden und dass Geheimdienst, Ermittlungsbehörden und Justiz weitere Nachforschungen unterbinden wollen.

Doch seither hat sich die Situation weiter verschärft, und die Einblicke in staatliche Organe und deren rechtsoffene und teilweise offen rechte Gedankenwelt zeigen uns immer klarer die Gefahr, in der diese Gesellschaft schwebt.

Immer öfter fliegen rechte Netzwerke und rassistische Gruppen in der Bundeswehr und in der Polizei auf, die Munition horten und Anschläge mit dem Ziel eines Putschs oder so genannten Rassenkriegs vorbereiten wie das „Hannibal-Netzwerk“, die Todeslisten erstellen und Morddrohungen versenden wie der NSU 2.0 in Frankfurt und zahlreiche weitere Fälle.

Hinzu kommen die zahllosen bekanntgewordenen rassistischen Chatgruppen, die erklären, warum die KollegInnen die faschistischen Zirkel in ihren Reihen nicht öffentlich machen: auch hier sind es keine Einzelfälle, wie uns die Innenministerien glauben machen wollen. Das Problem hat System und liegt im System.

Zugleich gehen staatliche Behörden vermehrt gegen linke und insbesondere gegen antifaschistische Gruppen und AktivistInnen vor. Durch teils brutale Polizeieinsätze und riesige Polizeikessel wie zuletzt bei den Protesten gegen den nazistischen „Tag der deutschen Zukunft“ in Worms, durch Gerichtsverfahren und hohe Urteile sollen AntifaschistInnen eingeschüchtert und mundtot gemacht werden.

Eine andere staatliche Maßnahme gegen Organisationen, die sich für fortschrittliche Ziele einsetzen, ist der Entzug der Gemeinnützigkeit, der für viele linke Projekte das finanzielle Aus bedeutet. Im letzten November wurde bekannt, dass das Berliner Finanzamt uns, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen die Gemeinnützigkeit entziehen will mit der Begründung, die Landesvereinigung Bayern werde im dortigen Verfassungsschutzbericht genannt – also ausgerechnet im Bericht einer Behörde, die durch ihre Verstrickungen in rechte Terrornetzwerke von sich reden macht.

Dass die Überlebenden des NS-Faschismus und ihre MitstreiterInnen auf diese Weise staatlichen Schikanen ausgesetzt werden und das Engagement gegen Faschismus und Krieg für nicht gemeinnützig erklärt wird, löste europaweit Proteste aus. Die Entscheidung ist nicht nur eine finanzielle Bedrohung unserer Arbeit. Sie ist ein Schlag ins Gesicht der Überlebenden und WiderstandskämpferInnen und politisch ein fatales Signal, das rechte Kräfte weiter Morgenluft wittern lässt.

Wir streiten weiter dafür, dass das Finanzamt diese Entscheidung zurücknimmt und hoffen dabei auf eure Unterstützung.

Und zeitgleich gewinnt mit der AfD eine rechte Partei an Stimmen, die inzwischen in allen Landtagen sitzt und gegen Minderheiten und gegen fortschrittliche Gruppierungen hetzt. Eine Partei, in der sich offene FaschistInnen in leitenden Positionen tummeln, die die Shoah und andere Menschheitsverbrechen der Nazis verharmlosen, die völlig unverhohlen rassistische Gewalt befürworten und demokratische, liberale und linke Kräfte und Einzelpersonen bedrohen. Eine Partei, deren Mitglieder gute Kontakte zu militanten Nazis und rechten Terrorbanden unterhalten. Eine Partei, die sich regelmäßig mit ihren gewählten VertreterInnen auf Naziaufmärschen präsentiert, so auch oft bei den rechten Umzügen des „Frauenbündnisses“ hier in Kandel.

Erschreckend ist, dass so viele Menschen eine solche Partei wählen. Noch weit erschreckender ist, dass die etablierten Parteien, die sich von offen rechten Positionen stets distanzieren, die AfD-Abgeordneten in den Parlamenten dulden und mit ihnen formal zusammenarbeiten, dass die Landesregierungen und Stadtverwaltungen die rechte Hetzpartei an offiziellen Veranstaltungen teilhaben lassen.

Dass die AfD, die sich als Partei des rechten Geschichtsrevisionismus einen Namen gemacht hat, die bei jeder Gelegenheit die Opfer der Nazis leugnet und verhöhnt, dass diese Partei regelmäßig zu Gedenkveranstaltungen eingeladen wird, ist ein Skandal, ist eine weitere Verhöhnung der Opfer, die diesmal durch die einladenden Behörden erfolgt.

Die berechtigte Empörung über diesen Skandal wird weggewischt mit der formalen Begründung, die AfD sei schließlich demokratisch gewählt. Doch ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt: auch die NSDAP wurde demokratisch gewählt. Sie kam nicht mit einem Putsch an die Macht, sondern mittels Wahlergebnissen und der regulären Ernennung Adolf Hitlers zum Kanzler. Dass der Aufstieg des Nazifaschismus auf diesem Weg geduldet wurde, führte zur Ermordung von sechs Millionen jüdischer Menschen, von Hunderttausenden Sinti und Roma, politischen GegnerInnen und stigmatisierten Minderheiten und schließlich zum Vernichtungskrieg der Wehrmacht.

Wir dürfen uns nicht zurücklehnen, auf die Wahlergebnisse verweisen und das braune Treiben der AfD und der von ihr protegierten rechten Gruppierungen dulden. Wir dürfen uns auch nicht lähmen lassen von der Flut von Schreckensnachrichten über den immer stärker und mörderischer werdenden Naziterror, der Sympathien und Unterstützung aus den staatlichen Behörden erhält.

Wenn sich heute hier so viele Menschen zusammengefunden haben, um ein klares Zeichen gegen Rassismus und rechte Hetze zu setzen, muss uns das Mut machen und ein Ansporn sein, den rechten Entwicklungen überall entgegenzutreten. Wir dürfen uns nicht auf Parteien, Behörden oder andere Institutionen verlassen, sondern müssen selbst die Initiative ergreifen und antifaschistisches Engagement als Zivilgesellschaft organisieren und praktizieren.

Vor 75 Jahren, am 19. April 1945, befreiten sich die Häftlinge des KZ Buchenwalds selbst. Auf dem Appellplatz leisteten die Überlebenden einen Schwur, der uns bis heute Richtschnur ist:

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“

Lasst uns diesen Schwur endlich in die Tat umsetzen und gemeinsam und solidarisch gegen rechte Hetze vorgehen!